Eigentlich fing der Tag ganz gut an…
Es war Sommer. Viele Familien waren im Urlaub. Und unser Chef auch.
Ein strahlend schöner Samstag und die Aussicht, dass es nur ein halber Tag sein würde, wirkte sich auf die verkleinerte Crew belebend aus.
Zwei für den HV und eine Helferin, die von einer Praktikantin unterstützt, Sendung und Telefon bewältigen konnte, sollten wohl genug sein.
Sollten, wenn da nicht…
… jene Frau gekommen wäre, die wir zwar für diesen Morgen bestellt, es aber dann wieder vergessen hatten. Sie sollte Strümpfe angemessen kriegen.
… ab sofort die Apotheke – wie zum Hohn – voll gestanden hätte,
… die gewohnten, schnell abzuarbeitenden Schmerzpatienten waren, sondern Frau V. mit ihrer ellenlangen Bestellung und EC-Zahlung,
… eine Mutter mit ihrem quengelnden Kind auf ihre Rezepteinlösung gewartet hätte, um natürlich schnell wieder zu Hause zu sein,
… am Telefon eine dringende Anfrage zu beantworten gewesen wäre …
Aber , was soll’s ? Jetzt gilt es Ruhe zu bewahren und den wartenden Kunden möglichst ein sinnvolles Thema für ein gemeinsames Gespräch vorzuschlagen
Nachdem dieser Ansturm bewältigt war, kommt auch meine Kollegin wieder und wir holen tief Luft, sammeln uns für neue Taten und erwarten nichts Böses mehr.
Im Gegenteil. Wenn viel zu tun ist, verfliegt die Zeit schneller.
Eine Stunde lang plätscherte der Betrieb so vor sich hin, und wir dachten an ein gemeinsames Frühstück. Gut – wir dachten!
Es war ja Samstag. Bei den Ärzten waren die Computer natürlich aus, und so gibt es immer wieder auch mal handgeschriebene Rezepte.
Ein solches bekam ich. Verwöhnt durch gedruckte Verordnungen, ist man dann nicht mehr so vertraut mit den Eigenarten der Ärztehandschrift.
Eine Rezeptur – vermutlich eine Salbe.
Nach eingehender Beratung mit meiner Kollegin entscheiden wir uns für eine Augensalbe.
Der Blick auf den Arztstempel lässt dies zur Gewissheit werden.
Zum Patienten : ‘Wir wollen versuchen, diese Salbe bis 12 Uhr fertig zu haben.’
Wegen einer Mengenangabe wollen wir uns telefonisch bei dem Arzt noch mal rückversichern, hören aber , wie erwartet, nur die Ansage auf dem AB.
Die Analysenwaage wird nach längerem Ruhezustand ‘entkleidet’ .
Meine Kollegin wiegt ein und prüft. Ich bestätige die Einwaage. Okay!
(Der Kaffee wird inzwischen kalt.)
Dann sind wir wieder mit all unseren Kräften im HV beschäftigt. Es brummt.
Vor unserer Apotheke gibt es aber auch den schönsten und größten Parkplatz.
Da sind die Räder auf dem Dach der Autos, oder man springt schnell noch nach dem Joggen rein, oder macht einen kleinen Spaziergang mit den Enkelkindern. Man hat eben ein bisschen mehr Zeit als sonst und möchte den Unterhaltungswert auch in der Apotheke voll nutzen. Eigentlich liebe ich das…!
Ehe wir es uns versehen ist es zehn Minuten vor Zwölf.
Den Mann, der da über den Platz kommt, erkenne ich blitzartig.
Die Augensalbe. Die habe ich ja im Trubel völlig vergessen.
Ich habe noch acht Minuten ! Wasser wärmen – lösen – Augenfantaschale – fein verreiben – einfüllen – Etikett schreiben. Zwei Minuten vor zwölf.
Er betritt die Apotheke. Völlig gelassen überreiche ich ihm seine Salbe.
(Wenn sie es könnte, würde sie noch qualmen.)
‘Danke, aber so eilig wäre es nicht gewesen. Ich habe immer etwas auf Vorrat.
Berufsbedingt kann ich nur Samstags zu den Ärzten. Die wissen das schon. ‘
Kein Kommentar!
Der Kaffee ist kalt oder auf der Heizplatte zu Extrakt geworden. Der Salat auf dem Brötchen ist welk, und es muss noch gespült werden. Keine Chance.
Die üblichen ‚Samstag-letzte-Stunde-Pflichten’ laufen an.
Laborberichte ausdrucken. Medikamente prüfen. Rezepte taxieren. Letzte Sendung wegräumen. Computer bis auf zwei schließen. Wichtige Hinweise für Montag und die anderen,
die an diesem fast ganz gewöhnlichen Samstag nicht da waren.
Falls Sie, geneigte Leser, denken, dass jetzt Schluss ist, haben auch Sie die Rechnung
ohne unsere liebe Frau M. gemacht.
Sie liebt die Zeit so etwa drei Minuten vor Eins!
Dann ist sie so schön allein mit uns!
‘Sie machen doch um eins zu, nicht? Da kann ich ja noch eben ? oder !’ ???
So zwischen acht bis vierzehn Teilen liest sie einzeln von einem Zettel ab und mein Weg führt mich abwechselnd im Uhrzeigersinn durch die ganze Apotheke.
Mittlerweile liebe ich diesen samstäglichen Schlussmarsch und unterhalte mich gern mit ihr.
Bevor Frau M. nicht da war, können wir nicht schließen.
Kommt sie wirklich mal eher, könnten wir – eigentlich.
Nach ihr schließe ich dann wirklich Gitter und Tür.
Ein letzter Blick nach draußen. Die ersten Wolken ziehen auf.
Es ist eben Samstag im Sommer.