Eigentlich fing der Tag ganz gut an…
Ein kleines kurzes Schwätzchen am Morgen – Blitzlicht von gestern.
Die Rezepte aus dem Briefkasten werden bearbeitet und eingetütet.
Die Sonne scheint, und die ersten Patienten sind fröhlich, weil sie den ersten Termin bei ihrem Arzt ergattert hatten. So sind sie auch bereit, die Zeit in der Apotheke noch für ein kleines Problem, das sie ansprechen wollten, zu nutzen. ‘Zuhör’- und Beratungs-Zeit.
Ein Auto mit einem fremden Kennzeichen fährt vor. Ein Mann steigt aus, zieht seine Jacke an, klemmt sich ein Auftragsbuch unter den Arm und nimmt seinen Aktenkoffer vom Rücksitz – eindeutig ein Vertreter.
‘Ach, der hat mir heute gerade noch gefehlt. Ich hab’ noch nichts rausgesucht.
Sag ihm, er soll später noch mal wiederkommen’, stöhnt unsere PKA.
Freundlich gehe ich auf den perfekt gekleideten und parfümierten Herrn zu und bitte ihn um Aufschub.
‘Das geht leider nicht, denn Sie sind die letzte Apotheke auf meiner Tour in diesem Gebiet.
Dann müssten wir es telefonisch erledigen, aber ich wollte Ihnen noch die aktuellen Winterangebote zeigen und zwei neue Medikamente vorstellen, die ich eben bei den Ärzten besprochen habe.
Hätten Sie denn einen Moment Zeit?’
Ich habe es gewusst. Jetzt hab’ ich ihn am Hals. Leicht gequält lasse ich seine Ausführungen über mich ergehen. Viele bunte Katalogseiten werden aufgeschlagen mit eingeübtem Text :
ganz neu auf dem Markt – umwerfend gut – alle großen Zeitschriften auf einer neuen Seite –
Sie wollen doch schließlich nicht die Letzten sein, die es dann über den Großhandel bestellen müssen -eine Apotheke von diesem Format MUSS dieses Präparat doch anbieten, bevor die Leute es in der Zeitung gelesen haben – und die günstigen Konditionen – und die anderen Apotheken haben es auch schon geordert – und Sie können den Aufsteller auch wieder zurückgeben, wenn es nun gar nicht gehen sollte – und ich kann leider erst in einem Vierteljahr vorbeikommen, weil mein Gebiet vergrößert worden ist – Sie wissen ja Sparmaßnahmen – und den Ärzten habe ich auch schon gesagt, dass sie ihre Patienten darauf hinweisen sollen, dass es das in Ihrer Apotheke geben wird – und… und… und…
Irgendwann muss er doch mal Luft holen!
Glücklicherweise steht die Apotheke jetzt voll, und ich ‘darf’ mich um die Kunden kümmern.
Ich gebe ihm und mir Zeit für den neuen Anlauf. Wie wird er wohl gleich weitermachen?
‘Darf ich Sie mal etwas fragen?’
‘Aber sicher, dafür bin ich doch da!’ (Den Eindruck hatte ich bisher noch nicht.)
‘Was meinen Sie denn, wo wir Ihr Wundermittel hier noch hinstellen sollen?’
Er weiß wortreichen Rat. Man könnte doch einfach den Tisch hier leer räumen, und ihn für dieses aktuelle Top-Angebot nutzen. Er zeigt es mir. Danach konnte ich ihn nicht mehr sehen.
Nun ja, ich bin nur 1.63m groß, aber auch ich möchte die Kunden noch anschauen, wenn ich sie berate und ihnen die Medikamente nicht über den Aufsteller reichen müssen.
‘Ach, dafür findet sich doch immer ein Platz. Es muss Ihnen nur wichtig genug sein.
Und schließlich sind die anderen Mitarbeiterinnen doch auch alle größer.’ Sehr geschickt.
‘Haben Sie mal ein Test-Angebot, damit ich es persönlich erst einmal ausprobieren kann?
Dann könnte ich die Kunden doch viel besser überzeugen.’
‘Nun ja, wissen Sie, ich habe nur die eine Tube zum Vorführen, aber, wenn Sie den Aufsteller nehmen, dann haben Sie selbstverständlich einen Tester dabei.’
‘Sind Sie eigentlich selbst überzeugt von dem Produkt, das Sie da anbieten?
Wenn ja, warum gehen Sie dann nicht auf meinen Wunsch ein und überlassen mir Ihre Vorführ-Tube?’
(Er verliert. Und ich bin gespannt, wie er jetzt den Rückzug antritt.)
‘Nun ich glaube, wir kommen hier nicht weiter. Ist Frau H. heute nicht da?’
(Und wenn sie da wäre, kriegte er sie jetzt nicht mehr!)
‘Nein, Sie wollten dann ja wegen der Bestellung anrufen.’
Ostentativ schlägt er sein Wunderalbum zu, versenkt es in seinen Aktenkoffer, greift zum Aufsteller und geht mit einem herzlichen Gruß an den Chef von dannen.